Neues von Kasper
Rückblick
Erinnert Ihr Euch? Es ist ein paar Jahre her, da schrieb ich Euch die Geschichte von Kasper auf. Kasper war damals ein kleiner Kater, leuchtend rot natürlich und mit den Tigerstreifen, die alle roten Katzen haben. Kasper war das, was sein Name ohnehin schon verriet: ein Tausendsassa! Allgegenwärtig und immer zu Späßen bereit, ein lustiger Kerl, den alle hier in unserer Straße mochten!
Ihr erinnert Euch an Lisa? Die Kleine, die hier mit ihrer Mama im Haus über mir wohnte? Was soll ich Euch sagen, natürlich ist Lisa ganz gesund geworden! Sie ist heute 17 und eine richtige junge Dame! Den Tieren ist sie – wohl auch dank Kasper – treu geblieben: nach dem Abitur im nächsten Jahr möchte sie für eine Zeitlang nach Afrika. Da gibt es so ein Projekt für junge Leute in der Serengeti…
Erinnert Ihr Euch an meinen Nachbarn? Eigentlich war er der Grund, warum ich die Geschichte mit Kasper schrieb. Damals mochte ich ihn nicht, aber auch ich musste lernen, dass man Menschen nicht voreilig beurteilen soll und heute ist Günther – so heißt er – mein bester Kumpel! Manchmal begleite ich ihn, seine Frau und seine Perserkatzen auf eine der vielen Katzen-Ausstellungen. Günther hat herrliche Tiere und fast immer trägt er einen der begehrten Pokale nach Hause. Ich mag die Atmosphäre dort und oft bin ich mit meiner Kamera in der Ausstellungshalle unterwegs, immer auf der Suche nach DEM Foto!
Es ist also alles gut!
Alles gut?
Würde ich dann eine Fortsetzung meiner Geschichte von damals schreiben?
Heilige Abend
Heute ist wieder Heilig Abend. Wie damals. Ich sitze in meinem Sessel gegenüber des Kamins. Leise lodern die Flammen, nur ab und zu unterbrochen vom lauten Knacken berstenden Kienholzes. Auf dem Tisch die Pyramide, ruhig und sacht drehen die Bergmänner darauf Runde um Runde. Leise Musik aus dem Radio, irgendein Chor singt klassische Weihnachtsweisen. Im Fenster der Lichterbogen, sein heller Schein dringt nach außen, so dass man ab und an in der Dunkelheit der hereinbrechenden heiligen Nacht eine vorbeihuschende Schneeflocke wahrnehmen kann.
Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt oben, ja dort oben auf dem Schrank an zwei leuchtenden Augen hängen….. Kasper!
Er mustert mich von da oben, geduldig, abwartend. Wir kennen uns seit ewigen Zeiten , er war noch ganz klein, da saß er schon dort oben und erzählte von seinen Abenteuern. Ich sehe Kasper an und weiß, dass er Neuigkeiten zu berichten hat! Froh, heute nicht allein zu sein, gieße mir ein Glas einer roten Spätlese ein lehne mich zurück.
Na los Kasper, erzähl schon!
Ich fange an zu träumen und Kasper beginnt…
Ein Dialog
Na Du?“, begann Kasper unser Gespräch.
„Na Kasper? Erstmal frohe Weihnacht für Dich und alle deine Freundinnen auf den Dächern hier in der Stadt!“
„Ja danke, aber heute war ich nicht streunen, ich war oben bei Lisa! Weihnachten feiern! Ganz in Familie! Ganz besinnlich – zumindest sagten sie mir das. Willst du wirklich, dass ich dir DAS erzähle?? Ich bin froh, davongekommen zu sein!“
Ich bin neugierig geworden. Ich rede auf Kasper ein, dass es ja so schlimm nicht sein kann, dass er eigentlich ganz gut aussieht, verschweige aber, dass ich das etwas struppige Fell längst bemerkt hab. Überhaupt sieht Kasper heute gar nicht wie der sonst so wohlsituierte, gepflegte und königlich daher schreitende Kater aus, sondern wohl eher so, als ob ihn eine überaus schwierige Flucht mit endlosen Strapazen gelungen war.
„Das Leben ist ungerecht!“, begann Kasper. „Wieso?“, fragte ich. „Es hat euch Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet, Weihnachten zu feiern! Woran liegt das!?“ Ich musste lachen: „Was ist denn los, Katerchen? Ich weiß nicht, warum das so ist! Es liegt an…. der Evolution, am Urknall, den Dinosauriern, am lieben Gott, Darwin, was weiß ich! Ihr Katzen könnt dafür Mäuse fangen, an Baumstämmen hochgehen und an Gardinen schaukeln!“
„Aber“, Kasper weiter, „wir Katzen versuchen wenigstens nicht, uns beim Mäuse fangen gegenseitig umzubringen! Ihr Menschen tut das beim Weihnachten feiern!“
Kasper hatte sich oben auf seinem Schrank aufgerichtet und schaute, fast schon mitleidig, auf mich herunter.
„Das darfst du nicht so ernst sehen, Kasper“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, „wir Menschen bringen uns bei allen Gelegenheiten gegenseitig um! Nicht nur beim Weihnachten feiern.“
„Aber könnt ihr dabei wenigstens nicht unter euch bleiben und warum müsst ihr immer andere Lebewesen mit reinziehen? Tom zum Beispiel, Ja? Tom, der Bulldoggenrüde aus dem Nachbarhaus. Der wurde schlicht und einfach vergessen, weil alle ganz schnell in die Kirche mussten! In seiner Not und Verzweiflung machte Tom an den Tannenbaum. Kannst du dir das Theater vorstellen, als seine Menschen wieder nach Hause kamen? Oder kannst du dich an Kira erinnern? Die weiße Katze von schräg gegenüber? Die war letztes Jahr zwei ganze Tage im Treppenhaus eingesperrt! Die Leute waren in den Weihnachtsurlaub gefahren. Oder Micki, das Meerschwein! Niemand hat es gefüttert!“
„Ist ja gut, Kasper!“, versuchte ich die Katze zu beruhigen, „wir Menschen sind manchmal ein klein wenig…. na sagen wir mal… unachtsam.“
„Unachtsam!“ Kasper war aufgestanden, machte einen Katzenbuckel und streckte die Vorderpfoten weit von sich. „Ja, unachtsam. So könnte man es auch nennen,“ brummte er, drehte sich einmal im Kreis und versuchte nun, eine möglichst bequeme Liegeposition auf seinem Lieblingsplatz einzunehmen. Er legte seinen Kopf auf die Pfote, schmatzte, gähnte und fuhr fort: „Dann will ich dir mal erzählen, wie sich Unachtsamkeit anhand meiner heutigen Erlebnisse definiert. Vielleicht findest du ja am Ende einen neuen Begriff anstelle Unachtsamkeit.“
Kasper erzählt
„Tja, wie soll ich Weihnachten bei Familie Kropius beschreiben…. Bei euch Menschen wäre das vielleicht vergleichbar mit einem Wellnessurlaub in einem Stahlwerk. Weihnachten bei Familie Kropius heißt irgendwie versuchen zu überleben und dabei noch das Heiligste zu retten: sein Katzenfell!
Weihnachten bei Familie Kropius heißt: Lisa, Lisas neuer Freund, Lisas Mama, Mamas neuer Freund, Lisas Bruder, Oma Klara, Opa Ernst, Tante Gerda und dann….. Susanne, ihr Mann Bernd mit Söhnchen Finn-Luca. Sie alle waren heute angetreten im eisernen Bestreben, den Weihnachtstag zu einem unvergesslichen Familienereignis werden zu lassen und hierfür all ihre Liebe, Güte und Herzlichkeit zu investieren.
Mit einem – zwar wenig Gütigem, dafür aber um so lauteren – Schreckensschrei wurde ich schon am frühen Morgen aus dem Tiefschlaf gerissen. Ich träumte ganz friedlich auf dem Teppich vor Lisas Bett, als ich diesen Schrei hörte! Unmittelbar darauf fuhr ein stechender Schmerz durch meinen ganzen Körper! Kevin, Lisas neuer Freund, war ebenso erschrocken wie ich und stand beim Sprung aus dem Bett zunächst auf meinem Schwanz. Ich habe den Eindruck, es dauert heutzutage länger als früher, bevor die jungen Leute begreifen, dass sie auf Katzenschwänzen stehen, auf jeden Fall konnte ich mich irgendwie losreißen und rannte aus dem Zimmer, auf der Suche nach der Ursache des Schrei`s.
In der Küche stand Lisas Mama, im Morgenmantel und mit wirrem Haar. In der linken Hand eine gläserne Kaffeekanne, in der Rechten ein Kochbuch. Hinter mir hörte ich das Platschen von Kevins Riesenfüßen, dahinter das Trippeln von Lisa. Vorsichtshalber ging ich unter der Anrichte in Deckung und klemmte zur Sicherheit noch den Schwanz zwischen die Hinterläufe.
‚Liisaa!!!! Der Beifuß!!‘, hörte ich Lisas Mutter rufen, ‚wir haben keinen Beifuß!! Die Gans!! Es ist doch gleich neun Uhr und wie lange haben die Geschäfte auf?!‘
Wie bei euch Menschen eben üblich, brach zunächst eine wilde Diskussion aus, in deren Kern es darum ging, wer Kaffee kocht und wer den Beifuß aus dem Supermarkt – gleich gegenüber der Bushaltestelle – besorgt. Erschwerend zum schnellen und erfolgreichem Gesprächsausgang kam hinzu, dass Oma und Opa in Kürze eintreffen würden und Susanne soeben angerufen hat, dass sie zu Hause losgefahren seien und in etwa zwei Stunden vor der Tür stünden. Gefrühstückt hätte auch noch niemand und überhaupt wollten alle viel eher aufstehen und die Torte für den Nachmittag müsse auch noch fertig gemacht werden und wo sei eigentlich die Schüssel mit dem Kartoffelsalat für den Abend…..
Irgendwann sah ich, wie sich Kevin aus der Diskussionsrunde löste. Er würde den Beifuß auftreiben, Lisa könne ja zwischenzeitlich Kaffee kochen, während sich ihre Mama auf die Suche nach der Salatschüssel machen solle. In einer Viertelstunde wolle man sich hier wiedertreffen.
Kevin verschwand und in der Küche begann nunmehr ein fröhliches Treiben. Töpfe und Pfannen klapperten, Schranktüren schlugen, Wasserhähne rauschten. Das ganze Szenario wurde nur übertönt von den Klängen aus dem Küchenradio. Ein Kinderchor sang fröhliche Lieder aus dem Schnee und Lisa drehte den Lautstärkeregler bis kurz vor den Anschlag. Aus irgendeinem Grunde fühlte ich mich unter meiner Anrichte plötzlich nicht mehr so sicher und so wechselte ich schnell meinen Platz auf das Küchenfenster, gleich links neben dem Weihnachtskaktus. Lisa deckte den Frühstückstisch, als sie mich bemerkte: ‚Na Kasper? Magst du auch Weihnachtskonfitüre?‘, fragte sie, fröhlich lachend, während sie mir einen dicken Klecks einer klebrig süßen Pampe auf die Nase schmierte. Angewidert fuhr ich hoch und im gleichen Moment verspürte ich einen stechenden Schmerz im Genick. Der Weihnachtskaktus! Natürlich! Ob ich irgendwann nochmal begreife, dass dieses Ding keine Blätter hat?
Fluchtartig verließ ich die Küche und brachte mich in der Stube unter dem halbfertig geschmückten Tannenbaum in Sicherheit. Auch hier gab es Stacheln, aber die weit ausladenden Äste der Tanne gaben zumindest ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Der fröhliche Kinderchor im Küchenradio war auf eine erträgliche Entfernung entrückt und auch Lisas Hantieren mit dem Geschirr erschien mir von hier aus nicht mehr so bedrohlich. Allerlei Rachegedanken schossen mir dennoch durch den Kopf, als ich mühsam die mit allerlei Weihnachtsaromen angereicherte Konfitüre aus meinen Barthaaren entfernte.
Und während ich so putzte und leckte, bemerkte ich unmittelbar vor mir ein seltsames Ding! Eine rote, runde Glaskugel! Irgendjemand hatte die Kugel mitten in die Tanne gehängt und nun konnte ich ein seltsames Schauspiel beobachten: blickte ich von weitem auf die Kugel, sah mein Spiegelbild noch aus wie das einer Katze. Je näher ich der Kugel kam, umso breiter wurde das Bild und immer mehr sah ich aus wie der Pekinese aus der Gärtnerstraße! Ich wiederholte dieses Spiel einige Male und hakte mit der Pfote nach der Kugel. Schon begann diese, lustig hin und her zu schaukeln. Ein schönes Spielzeug! Dann schepperte es und mein roter, runder Spielkamerad zersprang in tausend Teile. Erschrocken schoss ich unter dem Baum hervor, schlug zunächst einen Haken unter das Sofa und wollte schon zurück in die Küche stürmen, als mich die Vernunft und die Weisheit einer Katze einholten: Langsam, mit ruhigem Schritt und hoch aufgerichtetem Schwanz schritt ich zurück in die Küche und nahm auf einem der Stühle Platz. Mein Groll auf Lisa war gewichen und ich war mir sicher, dass die Menschen nicht dahinterkommen würden, wie das mit der Christbaumkugel passiert ist.
Inzwischen war Kevin zurück und zeitgleich mit ihm trafen Oma Klara und Opa Ernst ein, fröhlich lächelnd, mit Kisten, Beuteln und Taschen beladen, gerade, als ob sie zu einer mehrwöchigen Safari aufbrechen wollten. ‚Frohe Weihnachten euch allen!‘, trällerte Oma Klara, während sie dem Opa aus dem Mantel half. Dieser kam sogleich in die Küche, entdeckte den Frühstückstisch und ließ sich in Erwartung des kommenden Kaffee’s auf den erstbesten Stuhl fallen. Auf meinen Stuhl. Nur knapp entwich ich dem Unfalltod, wurde dafür aber nunmehr von Oma Klara entdeckt und ich weiß nicht, was schlimmer gewesen wäre. Klara kreischte vor Begeisterung auf: ‚Der Kaspaaar‘!! Noch bevor ich fliehen konnte, langten zwei baggergreifarmartige, spindeldürre Hände nach mir, hoben mich hoch und packten mich auf Klaras Schoß. Unfähig, mich auch nur ein wenig zu bewegen, war ich eingekeilt zwischen Klaras dürren Beinen und diesen kalten Schraubstockhänden, welche sogleich begannen, mich zu bearbeiten. ‚Guckt her‘, rief Klara, ‚mich mag die Katze! Wie still doch Kasper hält, wenn ich ihn streichle!‘
Streicheln, von wegen! Das war Dampfbügeln und panisch sann ich darüber nach, wie ich mich aus dieser tödlichen Umklammerung lösen könnte. Die Befreiung nahte in Form Lisas Weihnachtskaffee’s…
So wie ich das verstanden habe, sollte man zwei Dinge im Leben möglichst nicht tun: Auf Oma Klaras Schoß sitzen und….. eine 17jährige Kaffee kochen lassen! An den Gesichtern der am Tisch sitzenden konnte ich ablesen, dass da Irgendetwas gründlich schiefgegangen sein musste. Nachdem Lisa das von ihr gefilterte Gebräu allen eingeschenkt hatte, schaute ihre Mama ungläubig in ihre Tasse. Kevin hingegen versuchte, durch die Zugabe von Milch und Zucker dem Getränk wenigstens irgendeine Geschmacksrichtung zu verleihen. Opa Ernst schwieg grinsend, während Klara mit einem ‚Ih! Pfui Deibel!‘ alle Höflichkeit jäh beendete. Scheppernd ließ die Oma ihre Tasse auf den Unterteller fallen und für einen Augenblick löste sich ihre Umklammerung in meinem Genick. Mit einem beherzten Sprung schaffte ich es in die Freiheit und ich nahm mir fest vor, nicht mehr in Oma Klaras Reichweite zu kommen. Das das eigentliche Unheil noch gar nicht eingetreten war, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht im Ansatz!
Die nächste Stunde verging mit dem, was ihr Menschen -Festvorbereitung- nennt: Lisas Mama kochte neuen Kaffee, den eigentlich keiner mehr wollte, denn alle mussten nunmehr Platz auf dem Tisch machen. Kevin erhielt den Auftrag, sich mit Opa zu beschäftigen, welcher wiederum sehr erfreut über die Aufgabe des jungen Mannes war. Beide zogen sich in die Stube zurück und machten sich an das Schmücken des Baumes. Erwartungsgemäß prallten beim Wühlen in den Kugelkartons die Welten von Tradition und Moderne zusammen, wodurch sich Opa Ernst zu einem längeren Vortrag über Weihnachten, gepaart mit jahrzehntelangen, eigenen Erfahrungen veranlasst sah. Richtig gut sah er nicht aus, der Kevin, aber er ertrug sein Schicksal und hing schweigend Kugel um Kugel an den Tannenbaum.
In der Küche war die Hölle los! Zwei gestandene Hausfrauen bearbeiteten Lisa mit Tipps und Tricks und bereiteten sie offenbar auf das Leben vor: Mama zeigte ihr den Umgang mit einer Tortenspritze, während ihr Oma Klara unbeeindruckt die Handhabung einer Papierfiltertüte erklärte. Und das Küchenradio brüllte, während sich blitzschnell ein dichter Nebel, gepaart mit beißendem Gestank in der Wohnung ausbreitete. Wie von Sinnen riss Lisas Mama den Topf mit dem Rotkohl, was sag ich -mit dem ehemaligen Rotkohl- vom Herd und versenkte ihn unter dem Wasserstrahl des Spühltisches. Ich konnte aus dem herrschenden Geschrei nicht viel heraushören. Ich vernahm noch, das Lisa hätte besser aufpassen sollen, als es klingelte!
Mit dem Blick eines gehetzten Wildtieres, eingehüllt in Rauch und mit dem Duft eingeäscherten Rotkohls eilte Lisas Mama zur Tür und es erschienen…… Susanne, Bernd und Söhnchen Finn-Luca! Völlig entspannt und in fröhlicher Erwartungen der kommenden, festlichen Stunden umarmten die Drei die schon Anwesenden und platzierten kleine, also wirklich kleine Geschenke um den nunmehr fertig geschmückten Christbaum. Bernd lief sogleich zum Barfach der ihm nicht gehörenden Schrankwand, entnahm diesem zwei ihm nicht gehörende Gläser und lud Opa Ernst auf einen ihm nicht gehörenden Cognac ein. Noch bevor Opa Ernst antworten konnte, hielt er ein halb gefülltes Glas in der Hand. Susanne hatte in der Zwischenzeit mitten in der Küche Platz genommen. Sie fächelte sich mit der flachen Hand Frischluft zu und beobachtete – von ihrem letzten Friseurbesuch berichtend – Lisa, welche gerade versuchte, die Asche aus dem Rotkohltopf zu kratzen.
Dann fiel Susannes Blick auf mich! ‚Finn-Luca! Finn-Luuuuucaaaaa!!!! Schau mal!!! Eine Miezekatze!!!!! Wie niedlich!!‘ Dann polterte es und Finn-Luca kam angerannt! Tja, wer, oder besser Was ist Finn-Luca…
Finn-Luca ist ein blondes, vierjähriges Bübchen mit goldenen Löckchen, blauen Äugelein und einem Lächeln, welches Eisberge zum Schmelzen bringt! Finn-Luca kam auf die Welt, um während der Zeit des Großwerdens alles zu zerstören, was er kriegen kann und dabei alles zu fressen, was sich ihm in den Weg stellt! Finn-Luca ist ein Monster mit Engelsgesicht, ein windelbepackter Wonneproppen mit der Lizenz alles zu dürfen, was ihm gerade in den Sinn kommt! Finn-Luca hätte die Fähigkeit, die Entwicklungsgeschichte aller Haustiere ein für allemal zu beenden und dafür noch von den Verwandten über alle Maßen gelobt und belächelt zu werden!
Und diesem Etwas wurde ich ausgeliefert! Susanne packte mich am Genick und übergab mich mit den Worten ‚Hier Finn-Luca! Halt ihn gut fest!‘ an den blondgelockten Buben. Das erste, was ich spürte, waren klebrige Hände und ein eigenartiger Geruch! Ein Gemisch aus Puder, Schokoladenatem und nicht mehr ganz sauberen Windeln kitzelte an meinem empfindlichen Gaumen und verursachte einen seltsamen Würgereiz. Zuerst schleppte mich Finn-Luca, hin und her rennend, mit seinem klebrigen Klammergriff durch die ganze Wohnung. Dann zerrte er mich durch die Gegend, packte mich schließlich am Schwanz und versuchte, mich hochzuheben. ‚Kräftiger Junge!‘, lobte ihn sein Papa Bernd, während ich vor Schmerz laut schrie. ‚Miau miau miau!‘, äffte mich Finn-Luca nach. Dann ließ er mich fallen. Ich krachte auf den Rücken und nutzte die Sekunde der Freiheit für eine Flucht auf den Stubensessel. Finn-Luca war stehengeblieben. Papa Bernd hatte den Fernseher eingeschaltet. Susanne war nun hinzugekommen und beobachtete gebannt und verträumt den Königssohn, welcher Jahr für Jahr – durch eine tief verschneite Winterlandschaft reitend – nach seiner Traumfrau mit den drei Haselnüssen sucht.
Mein Rücken schmerzte, ich hatte Hunger und Durst, niemand beachtete mich und plötzlich wollte ich dort nicht mehr sein! Die Menschen feiern eigenartig und meine Pein war noch nicht zu Ende! Tante Gerda war am frühen Nachmittag eingetroffen, küsste alle zur Begrüßung ganz herzig – leider auch mich und ihrem Knoblauch-Atem vergesse ich nicht so schnell. Irgendwann kam sie auf die Idee, Finn-Lucas Wartezeit auf den Weihnachtsmann zu verkürzen: ‚Komm Finn-Luca! Wir schmücken den Kasper! Da freut sich das Christkind!‘ Sie packten mich, banden mir rote und gelbe Geschenkbänder um Hals und Läufe, setzten mir eine alberne rote Mütze auf und hielten mich ganz fest! Ich bekam kaum Luft und hatte Angst! Aber die lustigen Familienfotos mussten erst noch gemacht werden. Am Spaßigsten für alle war sicher der Moment, in dem Finn-Luca versuchte, mich mit einem Schokoladenlebkuchen zu füttern und mich Bernd – von den zahlreichen Cognacs nun doch schon angetüdert – mit Nüssen bewarf.
Irgendwann ließen sie von mir ab und ich verkroch mich unter einen Schrank. Lange hab ich gebraucht, um dieses Geschenkband wieder loszuwerden und irgendwann gelang mir die Flucht durch die geöffnete Haustür. Das war dann, als Bernd zu seinem Auto lief, um neue Zigaretten zu holen.
Tja, und nun bin ich hier….“
Epilog
Gebannt hatte ich Kasper zugehört. DAS hatte ich nicht erwartet! Der kleine Kerl! Und soviel Stress zu Weihnachten!
„Ich muss mich bei dir entschuldigen, Kasper.“, hörte ich mich sagen. „Unachtsam ist wohl wirklich der falsche Ausdruck…“
Ich stand von meinem Sessel auf, langte nach oben und strich Kasper sanft übers Fell. Wohlig schnurrend drehte er sich auf den Rücken.
„Ach…Kasper…. was ich sagen wollte… wir bekommen auch noch Besuch heute!“
Sofort drehte sich der Kater wieder auf die Füße und starrte mich an: „Besuch???? Finn-Luca?“
Ich kicherte. „Nein, bleib ruhig, alter Freund. Es ist Weihnachten und heute besucht uns noch Annett…“
„Annett?“ ungläubig schaute mich Kasper an, „ANNETT??? Hast du etwa wieder eine….. ERZÄHL!“
„Nein Kasper! Ich erzähl gar Nix! Schließlich willst du doch im nächsten Jahr auch wieder eine Weihnachtsgeschichte, oder?“
„Ja“, antwortete Kasper, „aber nur, wenn es keinen Rotkohl gibt!“
In diesem Sinne, all unseren kleinen und großen, zwei- und vierbeinigen Freunden in Nah und Fern eine gesegnete Weihnachtszeit und ein frohes und glückliches Neues Jahr!
die Cattery „von der weißen Fee“
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Weiter zum 3. Teil unserer Weihnachtsgeschichte – „When a king is born“